C. Arnold u.a. (Hrsg.): Transnationale Dimensionen

Cover
Titel
Transnationale Dimensionen wissenchaftlicher Theologie.


Herausgeber
Arnold, Claus; Johannes, Wischmeyer
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Abendändische Religionsgeschichte 101
Erschienen
Göttingen 2013: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
471 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michael Quisinsky

Von den zwischen 1888 und 1900 – in einer von Nationalisierungstendenzen geprägten Zeit – abgehaltenen internationalen katholischen wissenschaftlichen Kongressen erreichte der einschlägigen Untersuchung von Claus Arnold in diesem Sammelband zufolge «(d)as höchste Maß an Internationalität» (44) jener, der 1897 in Freiburg/Fribourg stattfand. Unter den 758 Wissenschaftlern, die sich an der noch jungen Universität trafen, finden sich so illustre Namen wie Achille Ratti (der nachmalige Papst Pius XI.) und Marie-Joseph Lagrange OP (der Gründer der École Biblique et Archéologique de Jérusalem). Der Freiburger Kongress mit seinen durchaus lebhaften und komplexen Diskussionen illustriert konkret die «transnationale Dimension wissenschaftlicher Theologie», der sich in vorliegendem Band achtzehn erstklassige Beiträge widmen. Ihrerseits dokumentieren diese eine Tagung, die 2011 im Rahmen des Forschungsprojekts «Raumbezogene Forschungen zur Geschichte Europas» am Mainzer Leibniz-Institut für Europäische Geschichte stattgefunden hat. Methodisch stringent analysiert und in ihrem Erkenntnisgehalt zusammengeführt werden diese in der Einleitung von Johannes Wischmeyer, der die Ergebnisse und Einsichten in einen profunden Forschungsüberblick einbettet. Aufschlussreich sind dabei auch die aufgezeigten Forschungsdesiderata, beispielsweise die Wissenschaftsgeschichte der Aufklärungstheologie oder auch die im 1948 gegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen geführten theologischen Diskus- Diskussionen. «Internationale» Kontakte und Transferprozesse, so kann man mit Wischmeyer zusammenfassen, sind Spezifikum christlicher Theologie zwar bereits lange vor der in diesem Band mit gutem Grund eigens behandelten Zeit nach ca. 1800, Akteure, Medien und Formen der damit verbundenen Rezeptionen und Adaptationen waren und sind freilich immer zeit- und situationsbedingt ausgeprägt.

Gerade für die Zeit nach 1800 handelt es sich folglich bei der «transnationalen Dimension wissenschaftlicher Theologie» um ein ungeheuer komplexes Phänomen. Hilfreich und aussagekräftig erscheint vor diesem Hintergrund bereits die Aufteilung der Beiträge in sechs Teile, auch wenn sich im Einzelnen selbstredend Überschneidungen ergeben können: ein erster Teil widmet sich institutionellen Faktoren, ein zweiter den sozialen Beziehungen, wie sie sich in Schülerschaft, Netzwerken und individueller Mobilität niederschlugen. Den publizistischen Strategien widmet sich ein dritter Teil, den Orden und Missionen als spezifischen religiösen Institutionen ein vierter. Die Untersuchungen des fünften Teils gelten ökumenischen Aspekten. Ein sechster Teil schließlich versammelt Beiträge, die «die Dynamik theologischer Diskussionen» herausarbeiten.

Sämtliche Beiträge tragen dem von Johannes Wischmeyer am Ende seiner Einleitung formulierten Fazit Rechnung, dass die individuelle Orientierung an biographischen, inhaltlichen und «internationalitätsfördernden» wie «-bremsenden» Faktoren und Sachverhalten die angemessen hermeneutische Herangehensweise ist (vgl. 32). Diese Ausrichtung am Konkreten schließt natürlich gerade nicht aus, dass so gut wie alle Beiträge Fragen aufwerfen, deren heuristisches Potential über die in ihnen behandelten Personen, Faktoren und Sachverhalte hinaus reicht. Beispielsweise zeigt Leonhard Hell in seinem Beitrag am Beispiel der Ökumene das vielfältige Neben- und Nach-, In- und Miteinander deutsch- und französischsprachiger Theologie «zwischen Geistesverwandtschaft und gezielter Rezeption» – so der sprechende Titel des Beitrags – auf, was dann besonders erhellend auch für den Prozess einer eigentlichen internationalen Netzwerkbildung (290) (mit wiederum durchaus unterschiedlichen nationalen Rückwirkungen) und die daraus möglicherweise zu ziehenden systematisch-theologischen Schlüsse ist. Letztere schreiben sich, ganz im Sinne Yves Congars, dem Hells Augenmerk denn auch besonders gilt, in die Geschichte der Kirche insgesamt als lebendigem Überlieferungsgeschehen des Glaubens ein. In ihrer Darstellung des Orthodoxen Theologischen Instituts St. Serge in Paris, das 1925 gegründet wurde, bringen Barbara Hallensleben und Richard Augustin Sokolovski ein systematisch-theologisches Deutungselement nicht zuletzt durch die Verschränkung zweier Perspektiven (vgl. 394) ein, deren «Ambivalenz» zu grundsätzlichen Überlegungen bzgl. einer komparatistischen kirchengeschichtlichen und systematisch-theologischen Hermeneutik führt (406). Dass hierbei die Wahrheitsfrage in den Blick rückt, lässt «die konkrete Untersuchung der Institution St. Serge in eine fundamentaltheologische Überlegung über den spezifischen Status der Theologie als Wissenschaft und ihren grundlegenden Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte schlechthin» münden (407f) und fordert Internationalität und Interdisziplinarität aller theologischen Disziplinen heraus. Der Beitrag von Benjamin Dahlke «Der ‹Jesus der Geschichte› und der ‹Christus des Glaubens›» schließlich erschließt gemäß seinem Untertitel «Von der Internationalisierung eines theologischen Problems und der Regionalisierung seiner Lösungsversuche» nicht nur wesentliche im deutschsprachigen Raum in der Breite weniger bekannte christologische Entwicklungslinien englischsprachiger (v.a. anglikanischer) Christologie, sondern gelangt als Ergebnis seiner vergleichenden Studie und nicht zuletzt aufgrund sprachphilosophischer Erwägungen zu der ebenso fundierten wie folgenreichen, wenngleich bei näherem Hinsehen wenig überraschenden Forderung: «Will die Dogmatik systematisch werden, muss sie [...] historisch sein» (434).

Wie die drei eben beispielhaft vorgestellten Beiträge zeigen, ist eine historisch und systematisch kompetente «vergleichende Theologie» ebenso inhaltlich und methodisch vielversprechend wie sie aufgrund der ihr eigenen Komplexität einer besonderen und immer neu zu erinnernden Sensibilität für das Zusammenspiel von Konkretion und Universalität des christlichen Glaubens bedarf. Bei alledem zeigen nicht zuletzt die auf dem eingangs erwähnten Freiburger Kongress von 1897 behandelten Themen wie Bibelauslegung, Verhältnis des Katholizismus zur Moderne (hier verhandelt am Beispiel des sog. Amerikanismus) oder Evolutionslehre, dass die wissenschaftliche Theologie Fragen aufgreift, die im Glaubensleben der Gläubigen ausdrücklich oder unterschwellig gären. Wenn mit diesem innovativen und gründlich gearbeiteten Band die Bedeutung künftiger Studien zu den «transnationalen Dimensionen wissenschaftlicher Theologie» eindrucksvoll aufgezeigt wird, so steht zu vermuten, dass die dabei zu gewinnenden Erkenntnisse ebenso wie das dabei nach und nach zu verfeinernde methodologische Instrumentarium zugleich auch für die Erforschung von internationalen Transferprozessen zwischen christlichem Leben und christlichem Denken auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene von größtem Interesse sind. Dies gilt umso mehr, als sich aufgrund der Eigenart christlichen Lebens und Denkens zu den transnationalen Dimensionen in jedem Fall eine transepochale Dimension gesellt, m.a.W. neben dem Austausch über geographische Grenzen hinweg auch die Geschichte des Glaubens eine bleibend anregende Quelle eines jeden theologischen Denkens darstellt, das sich seiner jeweiligen Verortung in der Welt und der daraus erwachsenden Verantwortung für gegenwärtiges und künftiges Glauben bewusst ist.

Zitierweise:
Michael Quisinsky: Rezension zu: Claus Arnold/Johannes Wischmeyer (Hg.), Transnationale Dimensionen wissenchaftlicher Theologie (=Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Abendändische Religionsgeschichte 101), Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 568-570.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen